Die Welt des Bio-Weinbaus steht vor einer bedeutenden regulatorischen Änderung, die durch die steigende Nachfrage der Verbraucher nach alkoholfreien Weinen ausgelöst wird. Aktuell können in der Europäischen Union (EU) produzierte Weine, deren Alkoholgehalt reduziert wurde, nicht als Bio-Weine zertifiziert werden.
Dies rührt daher, dass die EU-Öko-Verordnung 2018/848, die die Zertifizierung von Bio-Produkten regelt, keine Verfahren zur Reduzierung des Alkoholgehalts in Weinen explizit auflistet. Diese Situation könnte sich jedoch bald ändern.
Deutschlands Rolle als Vorreiter des Wandels
Deutschland hat die Initiative ergriffen und als erster EU-Mitgliedstaat regulatorische Reformen in diesem Bereich vorangetrieben. 2023 beantragte Deutschland bei der Europäischen Kommission, die Machbarkeit der Vakuumdestillation zur Entalkoholisierung von Weinen unter Beibehaltung ihres Bio-Status zu prüfen. Dieser Antrag löste eine Debatte über moderne Weinherstellungstechniken und deren Rolle bei der Bio-Zertifizierung aus.
Die Vakuumdestillation ist ein Verfahren zur Alkoholentfernung aus Wein unter niedrigem Druck. Dadurch verdampft der Alkohol bei geringeren Temperaturen, wodurch die Aromen und Geschmackseigenschaften des Weins erhalten bleiben. Das Verfahren hat sich aufgrund seiner Fähigkeit, das organoleptische Profil des Weins zu bewahren, zunehmend etabliert und eignet sich daher besonders für die Entalkoholisierung von Premiumweinen.
EGTOP-Zustimmung: Eine wegweisende Entscheidung
Auf Antrag Deutschlands prüfte die Europäische Expertengruppe für ökologische Produktion (EGTOP), die die EU in Fragen des ökologischen Landbaus berät, das Verfahren. EGTOP gab ihre Zustimmung und schlug vor, die Vakuumdestillation in Punkt 3.3 von Teil VI des Anhangs II der Verordnung (EU) 2018/848 aufzunehmen. Diese Empfehlung beinhaltet strenge Auflagen: Die Entalkoholisierung muss bei Temperaturen unter 75 °C erfolgen und eine Filtration mit Poren von mindestens 0,2 Mikrometern umfassen.
Am 23. August 2024 erließ die Europäische Kommission auf Grundlage der Empfehlungen von EGTOP einen delegierten Rechtsakt. Dieser Rechtsakt liegt nun bis zum 24. September zur öffentlichen Konsultation aus, sodass Interessengruppen und Branchenexperten zu dem Vorschlag Stellung nehmen können.
Die Auswirkungen auf die ökologische Weinherstellung
Sollte dieser delegierte Rechtsakt verabschiedet werden, wäre dies ein bedeutender Durchbruch für Bio-Winzer in der gesamten EU. „Da Membranverfahren bereits zugelassen sind, stünden Bio-Winzern nach Verabschiedung des Rechtsakts praktisch alle Mittel zur Verfügung, um Wein zu entalkoholisieren – mit Ausnahme der Osmose, die nur zur Chaptalisierung von Most zugelassen ist“, erklärt Stéphane Becquet , technischer und wissenschaftlicher Direktor der Organisation der Bio-Winzer von Aquitanien .
Diese Umstellung würde die Herstellung vollständig entalkoholisierter Bioweine ermöglichen und damit einem wachsenden Markt von Konsumenten gerecht werden, die gesündere, alkoholarme oder alkoholfreie Alternativen suchen. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass diese Änderung ausschließlich die vollständige Entalkoholisierung betrifft.
Teilweiser Alkoholentzug: Die unberührte Grenze
Trotz dieser Fortschritte wird die partielle Entalkoholisierung derzeit nicht diskutiert. Bei der partiellen Entalkoholisierung wird der Alkoholgehalt auf ein gewünschtes Niveau reduziert, wobei ein Restalkohol erhalten bleibt. Diese Technik findet bereits breite Anwendung in der konventionellen Weinherstellung, insbesondere bei Weinen mit geschützter geografischer Angabe (g.g.A.) und geschützter Ursprungsbezeichnung (g.U.). Für Bio-Erzeuger bleibt sie jedoch weiterhin eine Option.
„Eine teilweise Entalkoholisierung steht bei Bioweinen nicht auf dem Programm, obwohl konventionelle Winzer in diesem Bereich bereits umfangreiche Vorarbeiten geleistet haben“, bemerkt Becquet. Dies benachteiligt Biowinzer potenziell gegenüber ihren konventionellen Kollegen, die den Alkoholgehalt an Markttrends und Verbraucherpräferenzen anpassen konnten.
Ausblick: Endgültige Entscheidung bis November 2024
Nach Ablauf der Konsultationsfrist am 24. September haben das Europäische Parlament und der Rat zwei Monate Zeit, etwaige Einwände zu erheben. Werden keine Einwände erhoben, tritt der delegierte Rechtsakt voraussichtlich im November 2024 in Kraft. In diesem Fall wird der Rechtsrahmen für den ökologischen Weinbau um eines der fortschrittlichsten Verfahren zur Alkoholentfernung erweitert, wodurch Bio-Winzern neue Möglichkeiten eröffnet werden, die Marktanforderungen zu erfüllen, ohne Kompromisse bei der Zertifizierung eingehen zu müssen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Einbeziehung der Vakuumdestillation für alkoholfreie Bioweine einen entscheidenden Schritt zur Modernisierung der EU-Richtlinien für den ökologischen Weinbau darstellt. Die Fähigkeit der Branche, solche Innovationen zu integrieren und gleichzeitig die Integrität der Bio-Zertifizierung zu wahren, könnte die zukünftige europäische Weinlandschaft maßgeblich prägen. Biowinzer erwarten die endgültige Entscheidung mit vorsichtigem Optimismus.
Quelle: Vitisphere