Die europäische Weinindustrie steht an einem Scheideweg. Sie sieht sich einer Reihe struktureller Probleme und sich verändernder Konsummuster gegenüber, gleichzeitig aber auch dem zunehmenden Druck des Klimawandels ausgesetzt.
Während einer kürzlich stattgefundenen Sitzung des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung des Europäischen Parlaments betonte Pierre Bascou , der Direktor für Nachhaltigkeit der Europäischen Kommission, die Dringlichkeit für den Sektor, sich anzupassen und seine Widerstandsfähigkeit zu stärken.
Wichtigste Herausforderungen für den Sektor
Bascou skizzierte mehrere kritische Probleme, die die europäische Weinindustrie betreffen. Im Zentrum dieser Herausforderungen steht ein „erheblicher Rückgang des Weinkonsums“ in ganz Europa, der auf eine Kombination aus zyklischen und strukturellen Faktoren zurückzuführen ist. Bascou hob unter anderem mehrere geopolitische und wirtschaftliche Schocks hervor, die sich auf den Sektor ausgewirkt haben:
- Die Einführung von Zöllen durch die Vereinigten Staaten, die den europäischen Weinexport beeinträchtigten.
- Die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie führten zu einer geringeren Verbrauchernachfrage und Engpässen in der Distribution.
- Der andauernde Krieg in der Ukraine führt zu weitreichender wirtschaftlicher Unsicherheit und Störungen der Lieferketten auf dem gesamten Kontinent.
Diese Faktoren haben zu einem deutlichen Rückgang der Kaufkraft der Verbraucher geführt, was in Verbindung mit steigenden Produktionskosten die wirtschaftliche Existenz vieler europäischer Weinproduzenten bedroht. Die Unvorhersehbarkeit der Nachfrage, gepaart mit steigenden Inputkosten wie Arbeitskräften, Energie und Verpackung, hat die finanzielle Belastung der Weingüter, insbesondere derjenigen in kleinen, regionalen Märkten, verschärft.
Überangebot und Klimawandel
Neben dem wirtschaftlichen Druck führt der Klimawandel zu zunehmender Instabilität in der Weinproduktion. Bascou wies darauf hin, dass extreme Wetterereignisse – wie ungewöhnlicher Frost, Hitzewellen und Starkregen – die Erträge der Weinberge und die Vorhersagbarkeit der Weinlese erheblich beeinträchtigen. Teilweise tragen diese Ereignisse zu einem Überangebot in bestimmten Marktsegmenten bei, insbesondere bei Rotwein. Dieses Überangebot ohne entsprechende Verbrauchernachfrage hat zu Ungleichgewichten geführt, die durch die globale Instabilität noch verschärft werden.
Fragmentierung in Produktion, Etikettierung und Verpackung
Die zunehmende Fragmentierung des europäischen Weinsektors, insbesondere hinsichtlich Produktionsverfahren und Kennzeichnungsvorschriften, erschwert die Aussichten für den europäischen Weinmarkt zusätzlich. Da sich die Erzeuger an nationale und EU-weite Nachhaltigkeitsvorgaben anpassen müssen, schaffen Inkonsistenzen bei Verpackung und Etikettierung weitere Hürden, die den Marktzugang und das Verständnis der Verbraucher für Weinprodukte beeinträchtigen. Für Bascou muss die Behebung dieser „strukturellen Probleme in der Lieferkette“ höchste Priorität haben und erfordert koordiniertes Handeln auf EU-Ebene.
Bedenken des Europäischen Parlaments
Die Herausforderungen für die europäische Weinbranche sind auch den Mitgliedern des Europäischen Parlaments nicht entgangen. Während der Ausschusssitzung äußerte Esther Herranz García , Abgeordnete der Volkspartei, Bedenken hinsichtlich der Zukunft geschützter Ursprungsbezeichnungen und geografischer Angaben. Diese Systeme, die die einzigartigen Merkmale von Weinen aus bestimmten Regionen schützen, sind zunehmend durch Marktungleichgewichte bedroht. Einige Regionen haben zu Notmaßnahmen wie der Destillation unverkaufter Weine gegriffen, um Überschüsse zu bewältigen. García betonte die Notwendigkeit verstärkter Anbaugenehmigungen und marktwirtschaftlicher Lösungen, die es den Erzeugern ermöglichen, trotz sinkender Nachfrage rentabel zu wirtschaften.
Die Präsidentin der Landwirtschaftskommission, Carmen Crespo Díaz , teilte diese Bedenken und betonte die entscheidende Rolle der Weinberge in den Trockengebieten Europas. Weinberge tragen nicht nur zur Eindämmung der Wüstenbildung bei, sondern dienen auch als natürliche Kohlendioxidsenken und leisten somit einen wichtigen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel. Díaz plädierte für eine stärkere Unterstützung zum Schutz der Weinberge, die sowohl für die regionale Wirtschaft als auch für die übergeordneten Umweltziele des Europäischen Green Deals von zentraler Bedeutung sind.
Steigende Kosten für Produzenten
Eines der dringlichsten Themen der Sitzung waren die explodierenden Produktionskosten. Die PSOE-Europaabgeordnete Cristina Maestre warnte, dass die Produktions- und Vertriebskosten im Weinsektor ein untragbares Niveau erreichen, insbesondere jetzt, da die Weinlese beginnt. Sie betonte, dass viele Winzer derzeit unter ihren Produktionskosten verkaufen und damit die finanzielle Stabilität des Sektors gefährden. Maestre forderte ein Eingreifen der EU, um Verluste beim Verkauf zu verhindern und faire Marktpreise für die Erzeuger in ganz Europa zu gewährleisten.
Nächste Schritte: Hochrangige Arbeitsgruppe zur Weinpolitik
Diese Diskussion diente als Vorbereitung auf ein hochrangiges Treffen zur Weinpolitik, das nächste Woche stattfinden wird. Die von EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski Anfang des Jahres angekündigte Gruppe wird sich mit den unmittelbaren und langfristigen Herausforderungen des europäischen Weinsektors befassen. Mit Fokus auf Nachhaltigkeit, Marktstabilität und Erzeugerförderung dürfte die Gruppe in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der EU-Weinpolitik spielen.
Da der europäische Weinsektor mit den kombinierten Belastungen durch sich ändernde Verbrauchertrends, den Klimawandel und die globale wirtschaftliche Instabilität zu kämpfen hat, werden die Lösungen, die von politischen Entscheidungsträgern und Branchenführern in den kommenden Monaten entwickelt werden, entscheidend für die Sicherung der Zukunft dieser historisch wichtigen Branche sein.
Quelle: Europa.eu