Der Alkoholkonsum steht erneut im Mittelpunkt globaler Debatten zur öffentlichen Gesundheit. Mitte Oktober veröffentlichte die europäische Sektion der Weltgesundheitsorganisation (WHO Europa) in ihrem Hauptsitz in Kopenhagen ein neues Handbuch zur Krebsprävention , in dem sie sich für ein stärkeres staatliches Vorgehen gegen Alkoholmissbrauch ausspricht.
Das von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) entwickelte Handbuch identifiziert Alkohol als eine der Hauptursachen für vermeidbare Krebserkrankungen und fordert einen umfassenden politischen Rahmen, der höhere Steuern, Mindestpreise, Verkaufsbeschränkungen, Marketingverbote und sogar staatliche Monopole zur Steuerung des Alkoholvertriebs umfasst.
Laut IARC sind solche Maßnahmen nicht nur wirksame Instrumente der öffentlichen Gesundheit, sondern auch eine der kosteneffektivsten Investitionen, die Regierungen tätigen können. Das Handbuch hebt hervor, dass sichtbare Ergebnisse – wie etwa ein geringerer Alkoholkonsum und niedrigere Krebsraten – innerhalb von fünf Jahren eintreten können, was sich gut mit vielen politischen Zyklen deckt. Die WHO merkt zudem an, dass höhere Steuern auf alkoholische Getränke gleichzeitig als Abschreckungsmittel und als zusätzliche Einnahmequelle für den Staat dienen können.
Die politische Dimension der Debatte hat an Schärfe gewonnen. Am 15. Oktober veröffentlichte die Fraktion der Sozialdemokraten (S&D) im Europäischen Parlament eine Erklärung, in der sie Alkohol als toxische, psychoaktive und suchterzeugende Substanz bezeichnete und seine Einstufung als Karzinogen der Gruppe 1 bekräftigte. Die Fraktion betonte, dass Alkoholkonsum das Risiko für mindestens sieben Krebsarten und zahlreiche chronische Erkrankungen, darunter Lebererkrankungen, Herzerkrankungen und Suchterkrankungen, erhöht. Die S&D forderte eine aktualisierte EU-Alkoholstrategie und drängte die Europäische Kommission, neue Steuer- und Regulierungsmaßnahmen voranzutreiben.
Frankreich hat bereits erste Schritte in diese Richtung unternommen. Die französische Regierung prüft im Rahmen ihres Sozialversicherungsfinanzierungsgesetzes 2026 Anpassungen der Alkoholsteuer. Gleichzeitig signalisierte die Europäische Kommission mit ihrer laufenden Überprüfung der Alkoholsteuerrichtlinie ihre Absicht, ihre Politik an den Europäischen Aktionsplan zur Krebsbekämpfung anzupassen. Ein im Februar veröffentlichtes Arbeitspapier wies auf wachsende Bedenken hinsichtlich der Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit alkoholischer Getränke sowie der Vermarktung neuer Produktkategorien wie „Industrieweine“ und trinkfertige Mixgetränke hin.
Auch außerhalb Europas gewinnen ähnliche Bestrebungen an Bedeutung. In Kanada brachte Senator Patrick Brazeau einen Gesetzentwurf ein, der Warnhinweise vor Krebs auf allen Etiketten alkoholischer Getränke vorschreiben würde. Der von Organisationen wie Alcohol Action Ireland unterstützte Vorschlag ähnelt der jüngsten irischen Initiative, die solche Warnhinweise ebenfalls vorschreibt. Allerdings sind nicht alle Experten damit einverstanden. Dan Malleck, ein Historiker der Prohibitionszeit an der Brock University in Ontario, kritisierte den Vorschlag, da er überholte Argumente wiederhole. Er argumentierte, dass das Krebsrisiko bei moderatem Alkoholkonsum oft übertrieben dargestellt werde und wissenschaftlich eingeordnet werden müsse.
Dennoch ist der allgemeine Trend unverkennbar: Von Europa bis Nordamerika bemühen sich die Gesundheitsbehörden darum, Alkohol zu entnormalisieren . Diese Entwicklung spiegelt einen globalen Wandel in der Einstellung zum Alkoholkonsum wider – eine Einstellung, die Alkohol weniger als kulturellen Bestandteil, sondern vielmehr als Gesundheitsrisiko betrachtet, das einer aktiven Regulierung bedarf.
Während die Gespräche in Brüssel, Paris und Ottawa voranschreiten, wächst der Druck auf die globale Alkoholindustrie, sich anzupassen. Für die Regierungen versprechen diese Maßnahmen einen doppelten Nutzen: den Schutz der öffentlichen Gesundheit und die Sicherung zusätzlicher Finanzmittel. Für die Konsumenten hingegen markieren sie den Beginn einer neuen Ära im Umgang der Gesellschaft mit Alkohol – von der Betrachtung über die Regulierung bis hin zum Konsum.
Quelle: Vinetur