Die Europäische Union ist der Lockerung der Vorschriften für gentechnisch veränderte Reben und Pflanzen einen Schritt näher gekommen.
Letzte Woche nahm der Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten einen von der polnischen Ratspräsidentschaft eingebrachten Vorschlag zur Beschleunigung des Zulassungsverfahrens für neue Reb- und Pflanzenzüchtungstechniken an. Der Vorschlag wurde von einer Mehrheit konservativer, liberaler und rechter Vertreter unterstützt und markiert damit einen bedeutenden Kurswechsel in der EU-Agrarpolitik.
Ein flexiblerer Ansatz zur Genmodifikation
Die vorgeschlagene Reform führt zwei Kategorien für gentechnisch veränderte Reben und Pflanzen ein:
- Leicht veränderte Sorten – Diese Pflanzen weisen bis zu 20 genetische Veränderungen gegenüber ihren ursprünglichen Pendants auf und werden ähnlich wie konventionelle Sorten behandelt.
- Extensiv veränderte Sorten – Diese Pflanzen weisen mehr als 20 genetische Veränderungen auf und unterliegen weiterhin strengeren Vorschriften.
Einer der umstrittensten Aspekte des neuen Ansatzes ist die Kennzeichnungspflicht. Nach dem Plan der EU-Kommission müssen nur die Samen gentechnisch veränderter Pflanzen der ersten Kategorie gekennzeichnet werden. Lebensmittel, die aus diesen Pflanzen hergestellt werden, müssen ihren gentechnisch veränderten Status jedoch nicht offenlegen – eine Maßnahme, die bei Verbraucherschützern heftige Kritik hervorgerufen hat.
Deutschland lehnt die Reform ab
Deutschland lehnte den Vorschlag ab. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir äußerte starke Bedenken hinsichtlich Transparenz und Wahlfreiheit der Verbraucher. „Die Verbraucher müssen selbst entscheiden können, was sie essen. Landwirte und Unternehmen der Lebensmittelindustrie arbeiten seit Langem erfolgreich ohne Gentechnik. Ich habe mich stets dafür eingesetzt, dass dies auch in Zukunft möglich bleibt“, erklärte Özdemir.
Trotz des Widerstands Deutschlands bedarf der Vorschlag noch der endgültigen Zustimmung der EU-Mitgliedstaaten. Angesichts der bevorstehenden Europawahlen im Sommer erscheint eine Einigung bis dahin jedoch unwahrscheinlich.
Industrie- und Umweltgruppen äußern Bedenken
Der Deregulierungsplan stieß auf Kritik von über 200 Umwelt- und Bio-Landwirtschaftsorganisationen, darunter Bioland, Greenpeace und Demeter. Kritiker argumentieren, dass eine Lockerung der Vorschriften zur Gentechnik die Artenvielfalt, Verbraucherrechte und Kleinbauern gefährden könnte. Ein Hauptproblem ist die Patentfrage: Wenn einige wenige Großkonzerne die Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen kontrollieren, könnten sie die Lebensmittelversorgung dominieren.
Jörg Hütter, politischer Sprecher von Demeter, warnte: „Mit dieser Entscheidung entfernt sich Europa immer weiter von seinen grundlegenden Prinzipien der Vorsorge und Lebensmittelsicherheit.“
Mögliche Vorteile für Winzer
Befürworter der Reform argumentieren, dass neue Genomtechniken Reben helfen können, sich an den Klimawandel anzupassen, Krankheiten zu widerstehen und weniger Pestizide zu benötigen. Angesichts des zunehmenden Drucks auf europäische Weinberge durch steigende Temperaturen und unvorhersehbare Wetterlagen könnten gentechnisch veränderte Reben eine Schlüsselrolle für die Zukunft des Weinbaus spielen.
Während renommierte Wissenschaftler die Gesundheitsrisiken dieser Veränderungen als minimal einschätzen, hält die Debatte um Verbrauchertransparenz und Unternehmenskontrolle an. Im Zuge dieser Diskussion müssen sich Weinproduzenten, Umweltgruppen und politische Entscheidungsträger in einem komplexen Geflecht aus wissenschaftlicher Innovation, Verbrauchervertrauen und Wettbewerb zurechtfinden.
Quelle: Wein.Plus