Scenic German Town with Vineyard Panorama

Klimawandel und die neuen Grenzen des Weinbaus in Norddeutschland

Der Weinbau in Norddeutschland durchläuft einen bemerkenswerten Wandel.

Steigende Temperaturen haben neue Möglichkeiten für den Weinbau in Gebieten eröffnet, die einst als zu kalt für den Weinbau galten, gleichzeitig aber auch neue Risiken mit sich gebracht, die die Nachhaltigkeit dieser Vorhaben gefährden.

Werder: Ein Weinberg am 52. Breitengrad

Nur 35 Kilometer von Berlin entfernt liegt die Stadt Werder auf dem 52. Breitengrad Nord – vergleichbar mit Alaska oder der Mongolei. Hier bewirtschaftet Manfred Lindicke einen 7,6 Hektar großen Weinberg auf sandigen Böden entlang der Havel. Als er 1996 damit begann, fand die Weinlese üblicherweise um den 1. Oktober statt. Heute beginnt sie einen ganzen Monat früher, am 1. September – ein deutliches Zeichen für die Auswirkungen des Klimawandels auf den Weinbau.

Der Weinbau in Werder hat eine lange Tradition. Er reicht bis ins Mittelalter zurück, kam aber Mitte des 19. Jahrhunderts aufgrund strenger Fröste und wirtschaftlicher Not zum Erliegen. Nach der deutschen Wiedervereinigung belebten Pioniere wie Lindicke den Weinbau in der Region wieder. Laut dem Deutschen Weininstitut ist die Durchschnittstemperatur zwischen April und Oktober seit 1990 um mehr als ein Grad gestiegen, wodurch der Weinbau wieder rentabel ist.

Ein Wiederaufleben des Weinbaus im Norden

Seit 2016 haben Änderungen in den europäischen Richtlinien die Anpflanzung von über 200 Hektar Rebfläche in Norddeutschland ermöglicht. In Niedersachsen haben rund zwanzig Betriebe auf Weinbau umgestellt. So ersetzte beispielsweise Jan Brinkmann , Präsident des regionalen Weinbauverbandes, auf seinem 1,5 Hektar großen Weingut Getreide durch drei Rebsorten, um Alternativen zu finden, die weniger anfällig für Klimaextreme sind.

Die Weine spiegeln diese neue Geografie wider. In Werder hat sich der Pinot Grigio als leichter, fruchtiger Ausdruck des Terroirs etabliert. Lokale Konsumenten wie Peter Weymann , der bei der Weinlese hilft, sind der Ansicht, dass deutsche Weine nicht länger negativ mit italienischen oder spanischen verglichen werden müssen.

Klimawandel: Ein zweischneidiges Schwert

Während wärmere Temperaturen neue Möglichkeiten eröffnet haben, bringen sie auch neue Herausforderungen mit sich. Lindicke verweist auf immer frühere Ernten, Sonnenschäden an bestimmten Sorten und Dürreperioden , die eine Tröpfchenbewässerung erforderlich machen. Hinzu kommen Hagel, Spätfröste und Starkregen – alles Folgen der zunehmenden Klimavolatilität.

Das Deutsche Weininstitut bestätigt, dass deutsche Winzer aktuell von längeren Vegetationsperioden und verbesserten Reifebedingungen profitieren. Allerdings trüben extreme Wetterereignisse dieses Bild. Die Erzeuger sehen sich nach nassen Frühjahren zunehmend mit Falschem Mehltau , in heißen, trockenen Sommern mit Esca und mit Bois Noir , einer durch Insekten nach Norden verbreiteten Krankheit, konfrontiert. Die Ausbreitung der Fruchtfliege verschärft die Situation zusätzlich.

Um sich anzupassen, haben viele Winzer – darunter auch Lindicke – auf pilzresistente „PiWi“-Sorten umgestellt, die mittlerweile mehr als 3 % der deutschen Rebfläche und mehr als die Hälfte seiner eigenen Reben ausmachen.

Wirtschaftlicher Druck auf Kleinproduzenten

Neben den ökologischen Herausforderungen ist auch die wirtschaftliche Lage schwierig. Die Pandemie hat den heimischen Markt geschwächt, und viele deutsche Verbraucher bevorzugen günstigere Importweine. Lindicke hat es schwer, wettbewerbsfähig zu bleiben, wenn ein französischer Sauvignon Blanc im Supermarkt für 2,50 Euro erhältlich ist, während seine Weine zwischen 12 und 15 Euro kosten müssen, um rentabel zu sein.

Ein Vermächtnis im Wandel

Mit 75 Jahren kümmert sich Lindicke noch immer um seinen Weinberg, doch er sorgt sich um die Zukunft. Er hat noch niemanden gefunden, der sein Lebenswerk fortführen möchte. Seine Situation verdeutlicht die allgemeinen Unsicherheiten, mit denen der norddeutsche Weinbau konfrontiert ist: Der Klimawandel hat zwar neue Möglichkeiten eröffnet, aber gleichzeitig die Fragilität der lokalen Weinbautraditionen in einem wettbewerbsintensiven und instabilen Umfeld offengelegt.

Quelle: Vinetur

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